Nachdem ich “Die Schachnovelle” von Stefan Zweig gelesen habe, wollte ich unbedingt mehr von ihm lesen. Dieses Werk hat mich sogleich angesprochen und war sehr gespannt, was auf mich zukommt. Diese Ausgabe von Anaconda beinhaltet überraschenderweise gleich drei Novellen.
“Vierundzwanzig Stunden aus dem Leben einer Frau”: eine junge Frau hört sich die Geschichte einer älteren Dame an. In einer Pension in der Riviera begegnen sie sich das erste Mal und wegen einem skandalösem Fall sind sie ins Gespräch gekommen. Die ältere Dame ist von der Zuhörerin beeindruckt, weil sie weiter denkt und andere Möglichkeiten in Betracht zieht, anstatt sogleich zu verspotten. Dies hat dazu geführt, dass die ältere Frau ihr ihre Geschichte erzählt. Eine Geschichte, die sie noch nie jemandem erzählt hat, weil jeder Mensch sogleich die falschen Schlüsse zieht, weil sie etwas sehen, was sie sehen wollen und sich nicht interessieren, was wirklich passiert ist. Damals hatte man es als Frau nicht leicht und man wurde schnell als billig und einfach abgestempelt. Sie hat an diesem Tag ein Leben gerettet und als Dank wurde sie angelogen und beschimpft. Sehr traurig. Ich hätte noch gerne gewusst, was die ältere Damen danach gemacht hat und wie sie gelebt hat.
“Untergang eines Herzens”: Genauso ergreifend, nur etwas krasser. Ein verheirateter, alter, kranker Mann mit einer Tochter gesegnet. Er gibt seiner Frau und seiner Tochter alles, dennoch sind sie in seinen Augen undankbar. Er hat sehr schwer gearbeitet, um ein ehrliches Geschäft zu eröffnen. Aber niemand weiss das zu schätzen. Eines Nachts bemerkt er, dass seine Tochter spät Nachts durch die Gänge irrt. Schnell reimt er sich eine Liebschaft zusammen und schämt sich ihrer. Doch er kann nichts sagen und schweigt. Ein riesiges Missverständnis ist seit Jahren entstanden. Denn seine Frau und Tochter fühlen so, wie er sich fühlt. Doch das wissen die beiden nicht. Nichts desto Trotz hat der Mann eine Entscheidung getroffen, die ihn zwar befreit, aber seiner Familie schadet.
Hier fehlte die Kommunikation und der Scham war damals auch grösser und wichtiger, als das Problem anzusprechen. Man zerbricht sich den Kopf für etwas, das gar nicht so ist. Das Ende ist fast schon dumm, aber damals ganz normal. Auch ziemlich traurig und unnötig.
“Verwirrung der Gefühle”: ein Junger Student ist nicht gerade motiviert zu lernen, bis er auf seinen Professor trifft. Von seiner Leidenschaft angesteckt, will er alles tun, um ein guter Schüler zu werden. Der Professor hat ihm sogar ein Zimmer besorgt und gemeinsam diskutieren sie über alles mögliche. Doch was der Student nicht weiss: sein Professor ist homosexuell. Der Student versteht deswegen sein Verhalten nicht immer. Mal lässt er ihn in seinem Leben teilhaben, mal stösst er ihn gleich wieder weg. Die Professor’s Frau ist zwar abweisend zum Studenten, aber dennoch steht sie ihm bei, wenn er wieder wegen ihrem Mann verstört ist.
Eine wirklich grosse Verwirrung. Der Professor mochte den Studenten von Anfang und erlebten gemeinsam schöne Momente. Der Student stürzte sich so sehr in die Arbeit, dass die Frau ihn manchmal abhalten und zu einer Pause zwingen musste. Doch der Professor war schnell heiss und kalt. Man wusste einfach nicht, warum er dies tat und wohin er ab und zu tagelang verschwand. Der Student denkt, der Professor könne ihn nicht leiden, was die Frau abstritt, aber nichts weiter dazu sagt.
Damals war es ja noch nicht anerkannt, homosexuell zu sein. Das Leben wurde schnell unerträglich, sobald man gesehen und erpresst wurde. Schlimm und traurig. Man kann sich daher vorstellen, warum der Professor geheiratet hat. Seine Frau leidet natürlich auch sehr darunter. Wer will schon jemanden heiraten, der ihm alles körperliche entsagt? Dem Professor erging es ja nicht anders. Was man aber schnell gemerkt und gespürt hat: Student und Professor liebten sich sehr, jedoch auf einer ganz anderen Ebene.
Sehr interessante und ergreifende Geschichten. Zweig weiss ganz genau, wie man Gefühle und Emotionen umschreibt. Man fühlt gleich mit und hofft, dass am Ende alles gut kommt. Dennoch blieben die Geschichten eher oberflächlich. Ich hätte mir mehr Tiefe gewünscht. Aber an sich sehr schöne Novellen, die man gelesen haben sollte.