Wenn ich die Kritiken in den Feuilletons und Kulturmagazinen lese und auch die Kurzmeinungen, die auf der Rückseite des Schutzumschlages stehen, dann muss der Roman von Judith Hermann einfach ein Meisterwerk sein. Sprachlich und von der Konstruktion der Geschichte her.
Der Klappentext hat mich interessiert und neugierig auf das Buch gemacht. Denn wer kennt es nicht, das Gefühl, noch nicht im eigenen Leben angekommen zu sein. Wer stellt sich nicht die Frage des „was wäre, wenn“, hinterfragt Entscheidungen aus der Vergangenheit.
Sich also mit den Gedanken einer renommierten Autorin auseinandersetzen zu können und sich inspirieren zu lassen, klang spannend. Und doch hat der Roman bei mir keinen Nachklang erzeugt. Er ist gut zu lesen, die Sprache ist klar und schnörkellos und doch sehr bildhaft. Hermann greift viele Aspekte des Suchens und Findens auf, spielt mit Bildern und Perspektiven. Dennoch lässt mich der Roman nach der Lektüre ohne nachhaltigen Eindruck zurück und ist kein Buch, welches es auf meine persönliche Bestenliste schafft. Für mich ist die Geschichte zu konstruiert. Es entsteht keine Nähe zwischen den Figuren, egal ob es Geschwister sind oder Paare, die eine Affäre miteinander verbindet. Auch die Freundschaft der beiden Frauen signalisiert Nähe, ohne sie für mich wirklich zu schaffen. So wird für mich auch zum Schluss nie wirklich das Gefühl des Ankommens, eines Zuhauses greifbar. Zwar stellt sich die Protagonistin die Fragen über ihre Vergangenheit, doch mir scheint es, als hätte sie im Grunde doch kein Interesse daran, die Knoten wirklich zu lösen und irgendwo anzukommen. So war es zwar eine von sprachlicher Seite her interessante Lektüre, die mich jedoch nicht dazu gebracht hat, weitere Texte von Judith Hermann lesen zu wollen oder mir verständlich gemacht hat, warum gerade dieses Buch auf vielen Bestsellerlisten zu finden war.